Das Spiel und Ich – Teil 2

In Teil 1 des Beitrags habe ich über meine ersten Kontakte mit dem Eishockeysport berichtet. Teil 2 widmet sich nun der Zeit nach der Jahrtausendwende und fokussiert sich darauf, wie sich mein Interesse an der amerikanischen Profiliga NHL etabliert hat.

Zu Hause in meinem vertrauten Umfeld – meine Brüder und ich blieben nach der Scheidung unserer Eltern bei meiner Mutter – rückte der Fußball wieder in den Vordergrund. Ich habe mir damals aber nie wirklich Gedanken gemacht, ob es daran lag, dass es bei uns schlicht keine Option gab im Verein Eishockey zu spielen und ob ich dann tatsächlich den Wechsel vollzogen hätte. Fußball war mein Ding noch weit bevor ich das erste Mal das Selber Eisstadion von innen gesehen habe. Die stereotype Geschichte von der Schultasche in der Ecke des Kinderzimmers traf auch auf mich zu 100% zu und so konnte es nach dem Mittagessen nicht schnell genug auf den Sportplatz gehen.

Zwangsläufig verlagerte sich das Eishockey von der Halle auf den TV-Schirm. Während ich also versuchte die Weltmeisterschaften, die jährlich auch im Free-TV zu sehen waren, so umfangreich wie möglich zu verfolgen, fiel mir eine weitere Möglichkeit in die Hände: der Computer. Über einen Schulkollegen meines Bruders bekamen wir zum ersten Mal das NHL-Videospiel von EA Sports in die Hände. Während ich die FIFA-Reihe ziemlich schnell ziemlich langweilig fand, weil ich zum selber Kicken gehen, nur 100 Meter auf den Sportplatz laufen musste, konnte ich über das Daddeln am PC zumindest virtuell meinen Drang befriedigen, selbst einen Schläger in die Hand zu nehmen.

Die Berichterstattung über die National Hockey League war damals nicht existent, was auch daran lag, dass wir keinen Internetzugang hatten. Ich wusste also absolut gar nichts über die Liga, die Mannschaften, die Spieler. Selbst die durchaus populäre Zeichentrickserie Mighty Ducks war mir völlig fremd und so ging ich gänzlich unvoreingenommen, jungfräulich an die Auswahl meines neuen Teams. Das einzige Entscheidungskriterium sollte das Logo der Mannschaft darstellen und obwohl der Schwede Peter Forsberg, der damals in Colorado spielte, in kürzester Zeit mein Idol wurde, hat mich der Indianerkopf der Chicago Blackhawks ausgewählt. Wie sich herausstellen sollte, nicht die schlechteste Entscheidung, auch wenn ich diese Wahl nicht aktiv getroffen habe.

Die Olympischen Spiele 2006 in Turin wurden zum ersten richtigen Highlight. In meinem Rückblick auf Pyeongchang 2018 werde ich etwas detaillierter auf das Verhältnis von NHL und dem Weltverband IIHF eingehen. An dieser Stelle sei nur gesagt, dass erst seit Nagano 1998 NHL-Spieler an den Olympischen Spielen teilnehmen dürfen. Aufgrund der Zeitverschiebungen nach Japan, genauso wie 2002 nach Salt Lake City, Utah, war es praktisch unmöglich die Spiele der Eishockeyturniere zu verfolgen. Das änderte sich 2006 und da ich wegen meinem Idol Forsberg große Sympathien für die Schweden hegte, habe ich mich während dem Turnier in Turin gefühlt wie ein Kleinkind im Süßwarenladen. Die Skandinavier brachten alles mit nach Italien was Rang und Namen hatte und ich konnte sie endlich einmal live spielen sehen. Dass die Tre Kroner im “Bruder-Duell“ gegen Finnland tatsächlich die Gold-Medaille gewannen, war der kitschige Höhepunkt, dieser faszinierenden zwei Wochen.

Dem Internet, dem zunehmenden Alter und der damit einhergehenden Emanzipation vom mütterlichen Pantoffel sei Dank, konnte ich zum Ende des letzten Jahrzehnts auch endlich Spiele aus Nordamerika verfolgen. Was soll ich sagen? Die Olympischen Spiele, trotz all der großen Namen, sind mit der Action der NHL nicht zu vergleichen. In der Zwischenzeit konnten sich die Blackhawks über das Nachwuchsrekrutierungssystem, dass in allen amerikanischen Sportligen zum Einsatz kommt, eine schlagfertige Mannschaft zusammenstellen, die im Sommer 2009 noch mit dem großartigen Marian Hossa entscheidend verstärkt wurde. Dazu konnte die junge Truppe zusätzlich mit dem Stanley Cup erfahrenen Mittelstürmer John Madden verstärkt werden, der die ganze Saison über wichtige Defensivaufgaben übernahm.

Während man im Frühjahr 2009 in den Stanley Cup Playoffs völlig überraschend bis in Halbfinale vorstieß und dort an Detroit – mit eben jenem Hossa – scheiterte, war man in der Saison 2009/2010 durchweg einer der Favoriten. Der Saisonendspurt und die Playoffs fielen in die Zeit meiner Abiturprüfungen. Keine morgendlichen Verpflichtungen mehr, kein stundenlanges Büffeln mehr – alles war angerichtet, um mir die Nächte um die Ohren zu schlagen – und tatsächlich, nach einem 4:0 Sweep in der best-of-seven Serie gegen die San José Sharks, sollten die Blackhawks um den ersten Stanley Cup seit 1961 spielen. Gegner waren die Philadelphia Flyers, die erst auf den letzten Drücker in die Playoffs rutschten und in der zweiten Runde ein nicht vorstellbares Comeback gegen die Boston Bruins um den heutigen Bundestrainer Marco Sturm und Dennis Seidenberg hinlegten. Schon 3:0 in der Serie zurück, gewannen die Flyers vier Spiele am Stück, darunter das entscheidende Spiel 7 nach 3:0 Rückstand.

Die Finalserie war ausgeglichen und nach vier Spielen stand es 2:2. Was damals noch niemand wusste: Die Mannschaft der Blackhawks, um den Kern aus Kapitän Jonathan Toews, Starspieler Patrick Kane, Toews‘ Vertreter Patrick Sharp und Duncan Keith, sowieso Brent Seabrook und Nicklas Hjalmarsson, würden keine einzige Serie verlieren, in der es nach vier Spielen 2:2 stand. Mehr noch: Mit einem 2:2 nach vier Spielen verloren die Blackhawks zu dieser Zeit zwischen 2009 und 2015 nur ein einziges Spiel. Das war 2015 gegen Anaheim, sodass die Finalserie 2010 nach sechs Spielen mit 4:2 gewonnen wurde. Spiel 6 fand am 09.06.2010 in Philadelphia statt und ging in die Verlängerung. Das entscheidende Tor erzielte Patrick Kane auf kuriose Weise und bis heute diskutieren Medienvertreter mit den Beteiligten darüber, wann sie realisiert haben, dass der Puck im Tor und das Spiel zu Ende ist. Im Eishockey gilt seit langer Zeit die Golden Goal Regel. Ob man es mir glauben mag oder nicht, ich war mir sofort klar, dass die Scheibe drin war.

So ging ein herrlich ereignisreiches Frühjahr zu Ende: Ich war endlich mit der Schule fertig. Der ruhmreichen Glubb aus Nürnberg schaffte über die Relegation den Klassenerhalte in der Bundesliga und die Blackhawks gewannen ihren ersten Stanley Cup nach 49 Jahren Wartezeit. Ich konnte mich über das Jahr 2010 wirklich nicht beklagen.

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